Rajasthan ist Indiens flächengrößter Bundesstaat, fast so groß wie Deutschland. Im Gegensatz zum fruchtbaren Osten und Südosten Rajasthans, wo wir gerade her kamen, ist der Nordwesten geprägt von der Wüste Thar, auch große indische Wüste genannt. (Quelle) Genau dort wollten wir hin. Aufgrund mehrerer, durchwegs begeisterter Erzählungen anderer Reisender von der Wüstenstadt Jaisalmer, entschieden wir uns, dorthin zu fahren.
Mit dem Bus ging es von Jodhpur nach Jaisalmer, die knapp 300 km lange Fahrt dauerte ca. fünf Stunden. Die Landschaft veränderte sich zusehends, je weiter wir gen Westen kamen. Landwirtschaftlich genutzte Flächen wichen karger Steppe, grün wurde mehr und mehr sandfarben.
Jaisalmer
Jaisalmer, die goldenen Stadt Rajasthans – fast alle Häuser sind aus gelben Sandstein gebaut – liegt nur etwas über 100 Kilometer entfernt von der pakistanischen Grenze. 70.000 Menschen bevölkern die, für indische Verhältnisse geradezu winzige, Wüstenstadt. Auf dem ca. 75 Meter hohem Trikuta-Felsen, wacht die imposante mittelalterliche Festung über die Umgebung.
Die Geschichte Jaisalmers ist zum Teil brutal. Es sind zwei Jauhars – kriegsbedingte Massenselbstmorde – überliefert. Um der drohenden Versklavung nach der Eroberung durch den Feind zu entgehen, nahmen die Frauen in Jaisalmer sich und ihren Kindern lieber das Leben. Näheres hier.
Die Stadt empfing uns, wie zuvor andere Städte in Rajasthan, mit ihrem ganz eigenen Flair und Charme. Die Menschen machen einen sehr entspannten Eindruck, als ob es durch die Abgeschiedenheit der Stadt keinen Grund zur Hektik gäbe. Der Host in unserer ersten Unterkunft erzählte, dass der Tourismus sich hier erst in den letzten Jahre entwickelt hat. Mittlerweile ist Jaisalmer aber bekannt und beliebt, und dementsprechend auch gut besucht. Allerdings halten die meisten Touristen hier nur für ein oder zwei Tage, in Form einer organisierten Rajasthan Rundreise. Uns gefiel es hier so gut, wir blieben ganze neun Nächte, davon zwei in einem Camp in der Wüste.
Absolut bezaubernd ist das Innere des Forts. Die winzigen Gassen innerhalb der Festungsmauern ziehen einen sofort in den Bann. Diese sind so eng, dass hier nur noch motorisierte Zweiräder durchkommen, von Autos und Rikschas hat man hier seine Ruhe. Kleine Geschäfte bieten ihre Waren an, sowohl für den alltägliche Bedarf als auch Antiquitäten und Souvenirs für Touristen. Es gibt einige Restaurants und Guesthouses, fast alle verfügen über eine Dachterrasse, zum Teil mit grandiosem Ausblick. Ganz klare Empfehlung, innerhalb des Forts Quartier beziehen!
Wohnen in Jaisalmer
Wir wohnten für vier Nächte in einem der alten Wehrtürme der Festung, in einem runden Zimmer. Klingt spannend, war es auch. Besonders als ich (Steffen) kurz vorm Morgengrauen plötzlich wach wurde, weil mich etwas außerhalb der Bettdecke an der Hand berührte. Ich erschrak ziemlich, stieß die Decke von mir und richtete mich auf. Mein erster Gedanke war, eine Ratte sei über mein Bett gehuscht. Doch weit gefehlt. Unmittelbar nach Einschalten des Zimmerlichts fiel etwas kleines Schwarzes aus unserem Bett auf den Boden und begann, auf der Suche nach einem Unterschlupf, in Richtung Zimmerecke zu unseren Rucksäcken zu kriechen. Sarah schrie angeekelt “Wir haben eine Fledermaus im Zimmer”. Die auf allen Vieren, unter Zuhilfenahme ihrer eingeklappten Flügeln, kriechende Fledermaus hatte etwas albtraumhaftes an sich. In der Natur freue ich mich über herumfliegende Fledermäuse, im Bett möchte ich sie aber, schon aus gesundheitlichen Gründen, nicht haben.
Bei meinen Versuchen, die Fledermaus zwischen Rückennetz und Rucksack herauszubekommen, konnte ich das Tierchen sehr gut sehen. Meiner anschließenden online Recherche nach handelte es sich wohl um eine falsche Vampirfledermaus, mit ziemlich spitzen Zähnen. Unser Host meinte, das wäre in 16 Jahren noch nicht einmal passiert. Das Loch, durch welches der geflügelte Störenfried durch die Aussenmauer in unser Zimmer gelangt sein musste, verdeckten wir sicherheitshalber trotzdem mit einem Stein.
Sehenswürdigkeiten im Fort
Ein Jain Tempel sowie das historische Palastgebäude sind die Hauptattraktionen innerhalb der Festung. Die Palastbesichtigung sparten wir uns jedoch. Nach unseren Erfahrungen in Jodhpur wollten wir nicht schon wieder 500 Rupien pro Person ausgeben, um ein paar alte Räume zu besichtigen.
Essen
Momos
Kulinarisch war Jaisalmer ein absoluter Genuss, wir haben hier tolles, unterschiedliches Streetfood gegessen. Ganz hoch im Kurs stehen bei uns Momos. Die gefüllten Teigtaschen, ähnlich wie Ravioli, kommen ursprünglich aus Nepal und Tibet, werden aber in Indien, je weiter man gen Norden kommt, vielerorts auf der Straße angeboten.
Poha
Unweit vom First Gate des Jaisalmer Forts hat es einen Stand, der nur Vormittags – und leider nicht täglich – leckeres Poha zum Frühstück verkauft. Ich (Steffen) bin jeden Morgen aus dem Fort runter gelaufen, um einen Teller ergattern. Die Erfolgsquote lag bei rund 50%. Die Reisflocken mit Zwiebeln, Gewürzen, Granatapfel und Koriander schmeckten absolut köstlich.
Rollerausflug
Absolut lohnenswert ist es, sich einen Roller zu mieten und die Umgebung von Jaisalmer auf eigene Faust zu erkunden. Die karge Wüstenlandschaft hat durchaus ihren Reiz. Auf einer Rundfahrt, Karte gabs beim Verleiher, kann man verschiedene Ziele besichtigen. Sobald man aus dem Ort raus ist, hat es fast keinen Verkehr mehr, auf Nebenstraßen trafen wir über Kilometer auf kein anderes Fahrzeug. Dafür auf umso mehr Ziegen, Schafe und deren Hirten, gerne auch mal ein paar Rinder, die mitten auf der Straße laufen.
1.Bada Bargh
Die Kenotaphe (Scheingräber), sechs Kilometer nördlich von Jaisalmer, sind schön anzuschauen, wenn auch etwas heruntergekommen und nicht wirklich gepflegt. Man fragt sich was mit dem Eintrittsgeld geschieht.
2. Kuldhara Abandoned Village.
Kuldhara ist ein verlassenes Dorf. Es besteht aus über 400 Hausruinen, von denen größtenteils nur noch die Außenmauern stehen. Auf dem Dorf liegt ein Fluch, die Indian Paranormal Society hat die paranormalen Aktivitäten in dem Dorf bestätigt, das will ich euch nicht vorenthalten. (Quelle)
3. Gadisar Lake
Südlich der Stadt gelegener, bereits 1367 ausgegrabener, See, um Regenwasser zu speichern. Umgeben von kunstvollen Chhatris und Schreinen lädt der See zum Verweilen und Spazierengehen ein (nicht zum Baden).
4. Jain Temple
Diesen beeindruckenden Jain Tempel haben wir auf unserer Rollertour auch besucht – leider wissen wir den Namen nicht mehr, auch auf Google Maps heißt er nur Jain Tempel.
Ausflug in die Dünen
Absolutes Standard Touristen Programm ist eine Wüstensafari auf Kamelen, diese wurde uns täglich zigfach angeboten. Haben wir nicht gemacht. Erstens hatte keiner von uns das Bedürfnis auf Kamelen zu reiten, zweitens hatten wir keine Lust mit Massen von anderen Touristen den Abend in einem der unzähligen Camps der Sam Sand Dunes zu verbringen. Wir sind trotzdem in die Wüste, allerdings mit dem Jeep statt dem Kamel und ohne dort zu übernachten. Wir sagten dem Organisator unseres Ausflugs, dass wir gerne – abseits der Massen – den Sonnenuntergang in den Dünen sehen und nach Einbruch der Dunkelheit den Sternenhimmel bestaunen wollen, und genau das haben wir auch bekommen.
Dreamtime Bungalows
Direkt neben dem verlassenen Ort Kuldhara befindet sich eine relativ neue Bungalowanlage, die Dreamtime Bungalows. Diese wurden uns von einem Bekannten wärmstens empfohlen. Wir nutzten die Gelegenheit, als wir die Roller gemietet hatten, und schauten uns die Anlage an. Die Bungalows sind schön eingerichtet und liegen super abgeschieden, mitten in der Wüstenpampa. Hier wollten wir die Entschleunigung von Jaisalmer nochmal steigern und checkten für zwei Nächte ein.
Streunende heilige Kühe
Frei herumlaufende Kühe sind in Indien nichts Ungewöhnliches. In Jaisalmer hat es davon so viele, dass von einem Problem gesprochen werden muss. Die Kühe sind mitunter nicht ungefährlich, Unfälle häufen sich. Auf unserem Weg in die Dünen stand plötzlich eine junge Frau blutüberströmt am Straßenrand. Wir waren, nur Augenblicke nachdem eine Kuh die britische Touristin von hinten auf die Hörner genommen hat, an die Unfallstelle gekommen. Sie stand unter Schock und blutete stark, da sie volle Kanne aufs Gesicht gefallen war. Wir brachten sie sofort ins Krankenhaus, und zum Glück sah alles schlimmer aus, als es wirklich war. Wir alle waren danach deutlich vorsichtiger, wenn wir auf streunende Kühe trafen.
Bikaner – die rote Stadt
Bei aller Entspanntheit, die sich in unserer Reisegruppe ausgebreitet hatte, musste trotzdem die Weiterreise geplant werden. Cora und Matze hatten einen festen Termin für ihren Heimflug von Delhi nach Deutschland. Die Aussicht, mit dem Zug oder gar dem Bus die über 800 km nach Delhi zurückzulegen, war wenig verlockend. Flüge von Jaisalmer nach Delhi waren sehr teuer. Wir fanden einen super günstigen Flug von Bikaner aus, was uns veranlasste, dieser Stadt, entgegen unserer ursprünglichen Planung, doch einen Besuch abzustatten.
Nach einer relativ entspannten Fahrt in einem fast leeren Zug, empfing uns Bikaner wie ein Schlag ins Gesicht. Hektik, Schmutz, Verkehr, Lärm und Stress brachen mit Verlassen des Bahnhofs geballt über uns herein. Die Suche nach einer Unterkunft gestaltete sich als schwierig. Es gibt in Bikaner kein typisches Touristenviertel mit vielen Unterkünften in unmittelbarer Nähe. Erst nach mehreren Rikschafahrten, kreuz und quer durch die Stadt, hatten wir etwas halbwegs passables, wenn auch teures, gefunden.
Unser erster Eindruck der Stadt besserte sich kaum. Bikaner ist anstrengend und wenig charmant. Aus Jaisalmer kommend fanden wir es hart, uns hier einzugrooven.
Wie wir beinahe in einem Bollywood Epos mitspielten
Wir saßen gerade beim Abendessen, als ein auffällig stylish gekleideter jüngerer Inder mit Funkknopf im Ohr uns ohne viel Umschweife fragte, ob wir gerne als Statisten in einem Bollywood Film mitwirken würden. Er zeigte uns Fotos des Castings an diesem Tag, mit weissen Männern in englischer Uniform. Sarah und mir waren an diesem Tag bereits rund um das Bikaner Fort massenhaft Requisiten, sowie Filmfahrzeuge und Wohnwägen der Schauspieler aufgefallen. Leider hatten wir unsere Weiterreise für den nächsten Tag geplant, sonst hätten wir uns diese Gelegenheit nicht entgehen lassen. Freie Kost und Logie wurde uns direkt mit angeboten.
Kamel-Farm – National Research Centre on Camel
Einmal in Bikaner angekommen, wollten wir uns die Zeit auch ein wenig vertreiben. Da wir wenig Lust hatten das Fort zu besuchen (warum, kannst du in diesem Artikel nachlesen) und in der Altstadt zwar die versprochenen roten Häuser stehen, diese aber ansonsten nicht viel zu bieten hat, beschlossen wir uns das National Research Centre on Camel, kurz die Kamel-Farm anzuschauen.
Was soll man dazu sagen, es gibt dort wirklich viele verschiedene Kamele, kleine, große, helle, dunkle. Man kann sie anschauen und auf ihnen reiten (wer will auf Kamelen reiten?). Auf Infotafeln werden die Unterschiede der vier verschiedenen Kamelrassen Rajasthans erklärt. Außerdem kann man Kamelmilch, Kamel-Lassi, Kamel-Cappuccino usw. trinken, falls man das probieren möchte.
Karni-Mata-Tempel in Deshnok
Etwa 30 km von Bikaner entfernt, befindet sich der Ort Deshnok. Man kann mit dem lokal Bus dorthin gelangen, oder man nimmt man sich für diese Strecke ein nicht ganz billiges Taxi. Hier trafen wir auf eines der merkwürdigsten Dinge unserer kompletten Indienreise, den Karni-Mata Rattentempel.
Dieser Tempel ist einer Erscheinungsform der Göttin Durga gewidmet, nämlich der Ratte. Näheres hier
Wer jetzt denkt – ach niedlich ne Ratte – der macht sich keine Vorstellung. Wenn ihr jetzt eine kuschelige, gezüchtete, europäische Haustier-Ratte im Kopf habt, dann verabschiedet euch von diesem Bild. Es sind erstens grob geschätzt 20.000 Ratten und viele sind überhaupt nicht hübsch und kuschelig. In allen Ecken, am Boden und jedem noch so kleinen Spalt, wimmelt es von Ratten. Unter Möbeln und hinter Gittern sieht man immer wieder tote Tiere. Aber auch die Lebenden sehen oft nicht sehr gesund aus, es fehlen Augen, Ohren, die Felle sind schmutzig und verfilzt. Wie üblich in Hindu-Tempeln musste man auch hier die Schuhe ausziehen, wir waren nicht besonders gut vorbereitet und liefen Barfuß in den Tempel (Wegwerfsocken wären ein bessere Option gewesen).
Viele Ratten hinterlassen auch viel Dreck, die Köttel blieben an unseren nackten Füßen kleben. Je weiter wir in den Tempel rein gingen, desto stärker wurde der Geruch nach Rattenausscheidungen und vergorener Milch (die Ratten werden damit gefüttert), nichts, wirklich überhaupt nichts für schwache Mägen. (gell Matze 😀 )
Für Anhänger von Karni-Mata ist es eine besondere Ehre, eine weiße Ratte im Tempel zu entdecken, viele warten Stundenlang und wenn dann eine auftaucht, geht ein Aufseufzen durch den ganzen Tempel.
Es war spannend, an dieser besonderen Form des Hinduismus teilhaben zu dürfen.
Von Bikaner aus ging es für uns mit dem Flieger nach Delhi und von dort aus nach Haridwar und Rishikesh. Was wir dort erleben durften, lest ihr in unserem nächsten Artikel.
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