Nach den beiden Megacities Shanghai und Beijing lechzten wir nach Natur und nach mehr Ursprünglichkeit. Diese hofften wir in Chinas Norden zu finden. Ein passende Route fanden wir beim Sinographen, eine Seite die für alle China Recherchen sehr zu empfehlen ist.
Wir planten zunächst nach Pingyao, einer kleinen historischen Stadt zu fahren, anschließend nach Wutai Shan, um dort zu wandern und Tempel zu besichtigen und danach die berühmten hängenden Klöster in der Nähe von Datong zu besichtigen. Im Anschluss war geplant auf einem einsamen Stück der großen Mauer für zwei Tage wandern zu gehen
Während wir diese Pläne austüftelten, saß irgendwo auf einer kleinen Wolke das Schicksal und lachte sich tot. Denn es kam (fast) alles anders…
Nachtzug fahren in China – von Beijing nach Pingyao
Wir fahren sehr gerne mit dem Nachtzug, weil man die Zeit gut nutzt um zu schlafen und sich gleichzeitig Übernachtungskosten spart. Besonders das Zweite war uns recht lieb, da Shanghai und Beijing nicht gerade budgetfreundliche Städte sind. Wir wählten die sogenannte Hardsleeper Klasse aus und waren absolut zufrieden.
Der Nachtzug war sauber. Die günstige Hardsleeper Klasse bietet eine, mit einem Laken bezogene, Pritsche. Auf dieser befindet sich ein Kissen und eine Decke, beides mit weißer, sauberer Bettwäsche bezogen. Wir waren begeistert, besonders nach unserer letzten schlimmen Erfahrung im indischen Nachtzug.
Chinesische Nachtzüge sind niemals überfüllt. Einlass zum Bahnsteig bekommt man erst eine Viertelstunde vor Abfahrt. Es gibt eine Schranke, durch die man nur mit gültigem Ticket kommt. Jeder hat seinen Platz, es liegen nicht zusätzlich dutzende Menschen auf dem Boden im Wagon. Keine Gepäckberge, keiner versucht dir deinen Platz streitig zu machen. Kein Ungeziefer, das dich Nachts weckt.
Freilich sind die Mitfahrer im Nachtzug eine eigene Sache. Wir wissen nicht ob es offiziell erlaubt ist, aber in unserem Abteil wurde geraucht. Generell ist Rauchen in China sehr verbreitet, Zigaretten sind extrem billig, Nichtraucherschutz scheint kein großes Ding.
Das war aber nicht der einzige Geruch der sich in dem Abteil ausbreitete. Vorsichtig ausgedrückt ist Mundhygiene in China nicht besonders verbreitet. Wir haben sehr viele Chinesen gesehen mit schiefen und krummen Zähnen in allen Schattierungen, von weiß über braun bis schwarz und nicht vorhanden. Das hinterlässt auch olfaktorische Spuren, als würde in einer Ecke eine tote Katze langsam verwesen. Tja, öffentliche Verkehrsmittel sind halt eine Erfahrung für alle Sinne 🙂
Pingyao – Stadt wie eine Filmkulisse aus einem Eastern
Pingyao war das Ursprünglichste, was wir in China zu sehen bekamen. Die kleine Stadt sieht noch fast genauso aus wie zu ihrer Entstehungszeit während der Ming-Dynasty. Die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch Bankgeschäfte reich gewordene Stadt, verlor ihren Status Ende des 19. Jahrhunderts. Durch diesen Verlust von Bedeutung und Reichtum war kein Geld da, um die Straßen zu verbreitern und auf Autos auszulegen. Es fand keine Modernisierung statt, und Pingyao blieb in seiner ursprünglichen Form erhalten.
Die wunderschönen alten Herrenhäuser, Banken und Kaufmannsvillen können besichtigt und auch bewohnt werden. Es gibt eine riesige Auswahl an traumhaften Unterkünften, mit ursprünglicher chinesischer Einrichtung.
Pingyao gleicht einem großen Freilichtmuseum, die bezaubernden Straßen laden zum flanieren ein. Das Innere der Häuser, die mit einem Kombiticket besucht werden können, ist museumsartig gestaltet. Häufig ist die historische Einrichtung gut erhalten, man kann sich einen Eindruck über das Leben der Menschen zur Ming Dynastie machen. Der Innenhof bildet den Mittelpunkt eines traditionelle chinesische Hauses. Diese sind bei den alten Häusern in Pingyao zauberhaft gestaltet und bepflanzt. Pingyao hat wirklich Charme, und wir fühlten uns in eine andere Zeit oder in eine Filmkulisse aus einem alten Eastern versetzt.
Chinesen reisen selbst im eigenen Land fast nur in großen Gruppen, so ist auch Pingyao voll davon. Wir empfanden das aber nicht als störend, zumal der Ort so groß ist, dass sich die Touristenströme verteilen.
Wir hatten für unseren Aufenthalt in Pingyao eineinhalb Tage eingeplant und hatten schnell den Eindruck, dass wir uns ruhig etwas mehr Zeit für den kleinen Ort hätten nehmen können.
Einen Tag später wünschten wir uns, dass wir einfach in Pingyao geblieben wären.
Wutaishan – Feiertag aus der Hölle
Mit dem Bus ging es weiter nach Wutaishan. Auch dieses Verkehrsmittel ist in China sehr empfehlenswert. Der Bus war sauber, die Sitze bequem und es war keineswegs überfüllt. Gut gelaunt machten wir uns also auf den Weg nach Wutaishan und freuten uns schon darauf, in der Natur wandern zu gehen. Um in den Ort zu gelangen, müssen zunächst 168 Yuan (22 Euro) Eintritt bezahlt werden.
In Wutaishan durften wir zum ersten mal feststellen, warum viele Backpacker China erst gar nicht in Erwägung ziehen. Bis zu diesem Zeitpunkt war fast alles auf unserer Chinareise unkompliziert. Das organisieren von Zugtickets sogar deutlich einfacher als in manch anderem Land ( ja Indien, wir schauen in deine Richtung)
In Wutaishan gibt es eine riesige Auswahl günstiger Unterkünfte, hatten wir gelesen. Deshalb hatten wir zum ersten mal in China nicht vorher gebucht. Was wir aber nicht wussten, dass unser Ankunftstag der wichtigste lokale Feiertag ist, an dem buddhistische Pilger aus ganz China und Tibet anreisen.
Mitten in diese Völkerwanderung hinein geraten war natürlich kein gutes, sauberes oder auch nur günstiges Zimmer zu bekommen.
Nachdem wir mit unserem Gepäck schon eine Zeitlang rumgelaufen waren, versuchten wir ein Zimmer über Booking.com zu buchen. Zunächst war es unmöglich, die Unterkunft zu finden, weil alle Schilder auf chinesisch waren und dort, wo booking.com und google maps die genaue Position des Hotels angaben, sich in Wirklichkeit nur ein Parkplatz befand.
Hatten wir in Shanghai und Beijing schon festgestellt, dass wenig Chinesen Englisch sprechen, waren wir jetzt in einem Gebiet angelangt, wo noch weniger Englisch gesprochen wurde. Nicht mal in der sogenannten Touristen Information.
Schließlich fanden wir doch noch irgendwie das gebuchte Hotel, es war aber kein Zimmer frei. Der Inhaber hatte keine Buchung erhalten und versuchte uns wie lässtige Fliegen aus seinem Hotel zu scheuchen.
Backpacker bekommt man hier scheinbar nicht oft zu Gesicht, zwischendurch blieben größere Gruppen Chinesen stehen um uns anzustarren wie eine seltsame und exotische Spezies, die sich hierher verirrt hatte.
Langsam etwas verzweifelt, probierten wir erneut ein Zimmer zu buchen, diesmal etwas weiter vom religiösen Epizentrum entfernt. Ein Taxi zu dieser Unterkunft zu bekommen, stellte sich aber als ähnlich schwierig heraus. Auf der Straße die den Ort durchquerte war der Verkehr quasi zum erliegen gekommen. Hupend, Stoßstange an Stoßstange, schoben sich die Luxuslimousinen und SUV über die zweispurige Straße und zeugten von der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung Chinas.
Schließlich hielt doch noch ein Taxi, wollte uns aber nach kurzer Rücksprache mit dem Hotel nicht mitnehmen. Das Hotel habe keine Buchung von uns. Nochmal, wirklich?
Als unsere Nerven bereits zum zerreißen gespannt waren, tauchte auf einmal ein rettender Engel in Form eines Englisch sprechenden Chinesen auf. Dieser fragte uns, ob er uns irgendwie behilflich sein kann und nahm sich die Zeit, mit uns durch mehrere Hotel zu laufen und ein Zimmer zu finden. Natürlich konnten wir nicht verstehen, was gesprochen und verhandelt wurde, allerdings hatten wir den Eindruck, dass wir mit eher abschätzigen Blicken bedacht wurden. Was das wohl für komische Wessies sind, die an so einem wichtigen Tag keine Reservierung haben? Und das in einem Land, in dem fast ausschließlich in großen Gruppen gereist wird und sechs Monate vorher schon feststeht wo es hingeht.
Schließlich fanden wir ein Zimmer für die Nacht. Es war weder sauber noch günstig noch schön. Es bot ein, wie immer in China, sehr hartes Bett, in das wir todmüde fielen, um wie zwei Steine zu schlafen.
Fluchtartig verließen wir am nächsten morgen das Hotel und auch gleich den Ort. Einen Tag in diesem völlig überfüllten Ort voller wuseliger chinesischer Touristen zu verbringen, erschien uns nicht sehr attraktiv.
Mit dem Bus ging es weiter nach Datong.
Datong vom Regen in die Traufe
Aus Fehlern vermeintlich schlau geworden, buchten wir unser Zimmer im Voraus und ließen uns mit dem Taxi vom Busbahnhof dort hin bringen. Das erste Hotel, was wir gebucht hatten, stellte sich trotzdem als Katastrophe heraus. Der gelbe Teppichboden des Zimmers war übersäht von Zigarettenbrandlöchern. Im Din A4 Blatt großem Bad lagen Kippenstummel am Boden. Das Personal fragte uns mit Hilfe vom Google Translator doch tatsächlich, ob das Zimmer sauber genug wäre. Echt jetzt?
Beim zweiten Hotel hatten wir mehr Glück, bekamen ein Upgrade und ein riesiges Zimmer mit „Protzeglotze“. Am nächsten Tag wollten wir mit dem Bus zu dem berühmten hängenden Kloster fahren. Der Busbahnhof befand sich direkt gegenüber unseres Hotels, unser Reiseglück war wieder da, dachten wir.
Die Busfahrt sollte ungefähr eine Stunde dauern, und der Bus war anfangs noch erfreulich leer. Nachdem wir ca. 45 Minuten gefahren waren, machten wir Halt und warteten auf einen anderen Bus. Der Bus war zu spät und es sollten einige Fahrgäste aus diesem Bus zu uns umsteigen. Nach ca. 15 Minuten stiegen weitere Fahrgäste ein, der Bus war jetzt richtig voll, manche der Mitfahrenden teilten sich gemeinsam einen Sitz.
Die Fahrt ging weiter, wir waren nur noch ein paar wenige Kilometer von der Klosteranlage entfernt. Auf dem schmalen letzten Stück Richtung Kloster bildete sich ein Stau aus mehrstöckigen Reisebussen, kleinen Linienbussen, wie unserem, aber auch großen PKWs. Es ging nichts mehr vorwärts, höchstens ab und zu eine Handbreit. Also warteten wir im überfüllten Bus, in dem die Luft immer schlimmer wurde und sich der charakteristische Geruch von etwas ausbreitete, dass vielleicht nicht mehr lebendig war, sich aber definitiv lang nicht mehr gewaschen hatte.
Draußen begann es zu regnen. Zunächst nur zaghaft, dann aber mit immer mehr Entschlossenheit und dazu passendem orkanartigen Wind. An Regenjacken oder einen Regenschutz für unsere Kamera hatten wir nicht gedacht.
Vor unseren Fenstern, wurde Verkehr gespielt. Wildes anarchistisches rangieren und hupen. Zwei Verkehrspolizisten mischten sich hier und da ein – hatten aber keinen Einfluss auf den zum erliegen gekommenen Transport der Touristenmassen. Wo war das geregelte China mit den unzähligen Polizisten, wenn man es mal brauchte?
Die Zeit verstrich und wir saßen mittlerweile über drei Stunden im Bus. Schließlich wendete sich der Busfahrer auf chinesisch an alle Mitfahrenden. Wir fragten die Leute auf Englisch was er gesagt hatte. Nur fragende Blicke in den Augen der fast durchwegs jungen Chinesen um uns herum. Also wieder mit Google Translate, wir waren es ja mittlerweile gewohnt, nur noch mit Maschinen zu sprechen.
Wir reimten uns aus der Übersetzung zusammen, dass es durch den starken Regen einen Steinschlag gegeben hatte, und wir deshalb nicht weiter fahren können. Wir könnten aber versuchen, zu Fuß zum Kloster zu kommen.
Die Entscheidung fiel uns leicht, wir wären innerhalb von Minuten durchnässt gewesen, ganz abgesehen von unsere Kamera und den zu erwartenden Menschenmassen.
Da das Wetter schlecht blieb und wegen des Wochenendes zu erwarten war, dass auch andere touristische Highlights ähnlich überfüllt sein würden, beschlossen wir, nichts weiter in dieser Gegend zu unternehmen.
Bis zur Abfahrt unseres Zuges in Richtung Mauer blieben wir fast ausschließlich in unserem Zimmer. Datong selbst stellte sich als graue triste Stadt voller riesiger unpersönlicher Wohnblocks heraus. Wir waren am emotionalen Tiefpunkt unserer bisherigen Reise angelangt.
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